Pflegeausbildung

Unausgegoren

Gerd Dielmann stellt uns die Reform der Pflegeberufsausbildung vor und diskutiert deren Fallstricke. Außerdem geht er auf die geplante Hochschulausbildung für Pflegekräfte ein. Die Bilanz ist ernüchternd.
10.07.2020
Gerd Dielmann Gerd Dielmann ist Krankenpfleger und Pädagoge, hat lange an einer Pflegeschule gelehrt und war dann Gewerkschaftssekretär bei ver.di.

Nach langen Geburtswehen wurde die groß angekündigte Ausbildungsreform der Pflegeberufe mit dem Pflegeberufegesetz vom 17.07.2017 und der dazugehörigen Ausbildungsund Prüfungsverordnung vom 02.10.2018 vorläufig abgeschlossen. Erste kleinere Änderungen wurden zwischenzeitlich bereits vorgenommen, zuletzt mit dem 2. Bevölkerungsschutzgesetz vom 19.05.2020. Die ersten Ausbildungen konnten ab 1. Januar 2020 beginnen.

Wesentliche Elemente der Reform sind:

  • eine Neustrukturierung der Ausbildung mit einem »generalistisch « ausgerichteten Berufsabschluss und neuer Berufsbezeichnung »Pflegefachfrau/Pflegefachmann«,
  • Abschaffung des Schulgelds in der Altenpflege durch eine einheitliche Finanzierung über Ausgleichsfonds,
  • Vorbehaltstätigkeiten für Pflegefachkräfte,
  • eine grundständige Hochschulausbildung, die Berufs- und Hochschulabschluss verbindet auch als Regelausbildung,
  • Qualitätsverbesserungen durch den bundesrechtlichen Rahmen mit Tendenzen zur Verschulung der Berufsausbildung und stärkerer Selektion.

Die »generalistische« Ausbildung der Pflegeberufe – eine Mogelpackung?

Im Pflegeberufegesetz (PflBG) werden die bisher auf unterschiedlichen Rechtsgrundlagen ausgebildeten Pflegeberufe mit Abschlüssen in allgemeiner Krankenpflege, Kinderkrankenpflege und Altenpflege zusammengeführt. Dazu gehören auch neue Finanzierungsgrundlagen mit dem erfreulichen Nebeneffekt, dass Schulgeldzahlungen in der Altenpflegeausbildung auch dort, wo sie noch üblich waren, endlich abgeschafft werden. Das aus der Ausbildung im Krankenhaus bekannte Finanzierungsmodell über Ausgleichsfonds wird erweitert und dient für die einheitliche Ausbildung als Vorbild. Träger der praktischen Ausbildung können jetzt neben Krankenhäusern und Altenheimen auch ambulante Pflegedienste sein. Als Ergebnis eines Kompromisses innerhalb der großen Koalition können neben dem neuen Abschluss als Pflegefachfrau/-fachmann zunächst befristet auch weiterhin die Berufsbezeichnungen Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger* in und Altenpfleger*in erworben werden. Der theoretische und praktische Unterricht im Umfang von mindestens 2.100 Stunden erfolgt an Pflegeschulen, die sich in gleicher Trägerschaft befinden oder vertraglich mit dem Ausbildungsträger verbunden sein müssen. Ausbildungsträger ist immer ein Betrieb. Der Betrieb ist Vertragspartner des/ der Auszubildenden und insbesondere für die praktische Ausbildung verantwortlich.

Die Ausbildungsstruktur sieht für die praktische Ausbildung Orientierungs-, Pflicht- und Vertiefungseinsätze vor und enthält bei einem Mindestumfang von 2.500 Stunden weitere Einsätze zur freien Verteilung. Die Kompetenzentwicklung im Bereich der pädiatrischen Versorgung fällt für Pflegefachfrauen- und -männer im Regelfall äußerst bescheiden aus. Lediglich 120 Ausbildungsstunden, die in einer Übergangszeit bis 2024 gar noch auf 60 Stunden halbiert werden können, sind zwingend vorgeschrieben. Das sind etwa eineinhalb Wochen und damit nicht mehr als bereits bisher im Krankenpflegegesetz vorgesehen war. Wie in eineinhalb Wochen die im Ausbildungsprofil beschriebenen Kompetenzen in der »Pflege von Menschen aller Altersstufen« (Anl. 6 PflAPrV) entwickelt werden sollen, bleibt das Geheimnis des Verordnungsgebers.

Andererseits ist es auch möglich, den überwiegenden Teil der praktischen Ausbildung im Rahmen der Pflicht- und Vertiefungseinsätze in der pädiatrischen oder psychiatrischen Pflege zu absolvieren, wenn der Ausbildungsträger eine Kinderklinik oder Psychiatrie ist, mit entsprechenden Möglichkeiten, die Auszubildenden in der Akut- oder Langzeitpflege einzusetzen. Folgerichtig sind die Vertiefungseinsätze als Anlage zur Urkunde über die Berufserlaubnis beizufügen, damit bei Bewerbungen der Ausbildungsschwerpunkt erkennbar ist.

Möglich sind nunmehr verschiedene Qualifikationsprofile: Pflegefachfrauen und -männer mit Vertiefung in Akut-, Langzeit-, ambulanter, psychiatrischer und pädiatrischer Pflege, spezialisierte Abschlüsse in Gesundheits- und Kinderkrankenpflege und Altenpflege sowie ein Hochschulabschluss in allgemeiner Pflege.

Viele bisherige Träger der Altenpflegeausbildung werden die Vorgaben zur der pädiatrischen und psychiatrischen Versorgung vor schwer lösbare Aufgaben stellen. Für ambulante Pflegedienste ist die Ausbildung ohnehin wenig attraktiv. Sie werden selbst dann, wenn 1.300 Ausbildungsstunden beim Ausbildungsträger verbracht werden, nur selten in der Lage sein, die verschiedenen Anforderungen umzusetzen, die sich aus Ausbildungszielen und Kompetenzbeschreibungen ergeben. Die bisher für alle drei Abschlüsse erreichten Ausbildungszahlen von etwa 140.000 Auszubildenden1 wird der dann in Deutschland mit Abstand zahlenmäßig größte Ausbildungsberuf kaum mehr erreichen, geschweige denn – wie politisch beabsichtigt – übertreffen können.

 

Vorbehaltstätigkeiten und Pflegeassistenz

Während die ausdrückliche Berechtigung zur Ausübung definierter heilkundlicher Tätigkeiten2 im PflBG nicht mehr auftaucht, werden erstmals von den Berufsverbänden gefeierte Vorbehaltstätigkeiten festgelegt. Den nach diesem Gesetz Qualifizierten (und Gleichgestellten) sollen in der Berufsausübung künftig die Erhebung des Pflegebedarfs, die Organisation des Pflegeprozesses und seine Evaluation vorbehalten sein, also allen anderen untersagt werden. Nicht vorbehalten wird die Planung, die Durchführung und die Dokumentation der Pflege, die gleichwohl als Ausbildungsziel für die Pflegefachfrauen und -männer bestehen bleiben. Da weder medizinische noch therapeutische Berufe bislang eine Neigung gezeigt haben, den Pflegefachkräften diese Tätigkeiten streitig zu machen, kann sich die »Operation Vorbehalt« nur gegen die Pflegeassistenzkräfte und andere Helfer*innen richten, die in den letzten Jahren zunehmend pflegerische und pflegenahe Aufgaben übernehmen mussten. Beflissene Pflegewissenschaftler*innen haben dazu bereits unter dem Stichwort »Qualifikationsmix« einschlägige Projekte durchgeführt.3 Anstatt den Pflegeprozess als ganzheitliches Geschehen zu begreifen, bei dem Bedarfserhebung, Begründung, Durchführung, Dokumentation und Auswertung in einer Hand liegen, soll Pflegearbeit verbilligt werden, indem die Durchführung der Pflege auch in den Krankenhäusern in höherem Maße auch Assistenzkräften überantwortet wird. Damit nicht genug, soll diesen oft zweijährig ausgebildeten Pflegekräften, u.a. die Erhebung und Feststellung des Pflegebedarfs, die Auswertung ihres pflegerischen Bemühens und deren Qualitätssicherung bei Strafandrohung verboten werden.4

Um diese Tendenz zu unterstützen wird eine Zwischenprüfung eingeführt, die zwar bei Nichtbestehen nicht zwingend zum Ausbildungsabbruch führen soll, es den Bundesländern aber ermöglicht, bis dahin erreichte Qualifikationen auf eine landesrechtliche Ausbildung in einem Pflegeassistenzberuf anzurechnen.5

Verbesserte Qualitätsstandards und verstärkte Auslese

Insgesamt positiv zu werten sind die neuen Anforderungen an Pflegeschulen hinsichtlich der Ausstattung, der Qualifikation der Lehrkräfte, der Entwicklung schulinterner Curricula und der Praxisbegleitung. Aber die Tendenzen zur Verschulung durch Übertragung von Aufgaben, die in die Verantwortung der Betriebe gehören, wie die Überprüfung der betrieblichen Ausbildungspläne und Ausbildungsnachweise, die Bewertung der praktischen Ausbildung und die Beteiligung bei Abschluss der Ausbildungsverträge und bei Kündigungen, sind einer Stärkung der betrieblichen Berufsbildung und der diesbezüglichen Verantwortung der Betriebe eher abträglich. Verbessert werden die Vorgaben für die praktische Anleitung (10 % der Stunden je Einsatz) und die betrieblichen Ausbildungspläne.

Die Auszubildenden werden verschärftem Prüfungsdruck ausgesetzt durch vorgeschriebene Benotungen in Theorie und Praxis, durch Jahreszeugnisse und Vornoten, die zumindest in der Krankenpflegeausbildung bis dahin nicht üblich waren. Dies und auch die Zwischenprüfung wird zu vermehrten Ausbildungsabbrüchen führen. Die Fehlzeitenregelung wird verschärft, anstatt an die bereits üblichen gesetzlichen und tariflichen Freistellungsmöglichkeiten angepasst zu werden.6 Dabei liegt der Anteil der nicht erfolgreich absolvierten Ausbildungen bereits heute zwischen 24 und 29 %.7

Endlich wird vorgeschrieben was im dualen Berufsbildungssystem längst gilt: Bundesweit einheitliche Rahmenlehrpläne und Ausbildungsrahmenpläne für die betriebliche Ausbildung, die Beteiligung des Bundesinstituts für Berufsbildung und die Erhebung statistischer Daten, die für eine Weiterentwicklung der Ausbildung unerlässlich sind.

Hochschulausbildung oder: Die Rückkehr der höheren Töchter in die Pflege?

Eine Hochschulausbildung soll künftig nicht mehr nur im Modellversuch erlaubt sein, sondern auch als Regelausbildung. Dabei ist weiterhin unklar, welches denn die Tätigkeiten sind, die einer Hochschulausbildung bedürfen und nicht auf herkömmliche Weise in Aus- und Weiterbildung gelernt werden können. Nach Aussagen des ehemaligen Bundesgesundheitsministers Gröhe ist das Ziel der hochschulischen Ausbildung, »die Erkenntnisse der Pflegewissenschaften in den Pflegealltag hineinzutragen und so zu einer guten Verbindung nicht zuletzt für hochkomplexe Pflegebedarfe, für Leitungsaufgaben etc. zu kommen8«.

Die im Gesetz formulierten zusätzlichen Ausbildungsziele der Hochschulausbildung sind allerdings kaum geeignet, ein abgrenzbares Berufsprofil zu zeichnen, das in erster Linie »zur unmittelbaren Tätigkeit an zu pflegenden Menschen« (§ 37 Abs. 1 PflBG) befähigen soll. Zudem können die Kompetenzen zur Steuerung »hochkomplexer Pflegeprozesse« und erst recht für die Leitung eines Pflegeteams schwerlich im Rahmen einer Erstausbildung an einer Hochschule erworben werden. Der Zusatznutzen einer Hochschulausbildung für die unmittelbare Pflege gegenüber der beruflichen Ausbildung in Betrieb und Schule ist bislang nicht erkennbar. Der Bachelorabschluss mag allenfalls als Ausgangspunkt einer weiteren Hochschulqualifikation in Pflegewissenschaft, -management oder -pädagogik nützlich sein. „„

Rechtlos und vogelfrei

Für die Studierenden gelten keine ausbildungsrechtlichen Schutzvorschriften, keine Ausbildungsvergütung, keine geregelten Ausbildungszeiten usw., obwohl der überwiegende Teil der Ausbildung, nämlich mindestens 2.300 Stunden, sinnvollerweise weiterhin in der betrieblichen Praxis erfolgen soll. Nicht einmal Praktikumsverträge sind gesetzlich vorgeschrieben. Der Hauptgeschäftsführer der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), Georg Baum, nannte als Vorteile für die Studierenden, dass sie keinen arbeitsrechtlichen Bindungen und keinen Urlaubsregelungen unterliegen. Dafür hätten sie auch keinen Anspruch auf Praktikantenvergütungen. Sie zu zahlen oder nicht sei dem Arbeitgeber vorbehalten.9

An der schon im Regierungsentwurf vorgesehenen Ausgestaltung der Hochschulausbildung haben die Koalitionsfraktionen ungeachtet der von Gewerkschaftsseite vorgetragenen Kritik festgehalten. Es bleibt dabei: Es gibt keine arbeitsrechtliche Absicherung der Studierenden. Keine für Auszubildende üblichen Schutzrechte, keine Vergütung, keine geregelten Ausbildungsbedingungen. Auch die praktische Ausbildung, die etwa den gleichen Umfang wie bei der betrieblich-schulischen Ausbildung hat, wird von der Hochschule organisiert und verantwortet. Studierende werden so zu vogelfreien Praktikant*innen in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen.

Leider konnte sich ver.di mit ihrer Forderung nach geregelten Ausbildungsbedingungen für Studierende während der praktischen Ausbildung einschließlich einer angemessenen Vergütung nicht durchsetzen. In der zwischenzeitlich ebenfalls als Hochschulausbildung neu gestalteten Hebammenausbildung wurden sowohl eine angemessene Vergütung als auch ausbildungsrechtliche Mindeststandards während der Praxisphasen gesetzlich verankert.10

 

Soziale Auslese wird verstärkt

Unter den Bedingungen einer fehlenden sozialen Absicherung der praktischen Ausbildung wird die ohnehin für Studiengänge bereits typische soziale Auslese weiter verschärft. Die soziale Herkunft wird noch stärker darüber entscheiden, ob ein solches Studium absolviert werden kann. Nach der letzten Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks stammen bereits jetzt mehr als die Hälfte aller Studierenden (2016: 52 %, 2012: 50 %) aus einem Haushalt, in dem mindestens ein Elternteil über einen Hochschulabschluss verfügt. 1994 waren es nur 35 %. Der Anteil der Studierenden, von denen ein Elternteil als höchsten Abschluss über eine Lehre oder einen Facharbeiterabschluss verfügt, lag 2016 bei 25 %, 1994 waren es noch 33 %. Der Anteil der Studierenden mit Eltern ohne Berufsabschluss ist zwar von 2 % (2012) auf 3 % gestiegen, bleibt aber auf niedrigstem Niveau.11 Eine Verbesserung dieser Situation ist auch für die nächste Sozialerhebung nicht zu erwarten.

Zum Vergleich: Der Anteil derjenigen mit abgeschlossener Berufsausbildung an den 27,8 Mio. sozialversicherungspflichtig Beschäftigten lag 2011 bei 60,4 % und derjenigen mit abgeschlossener Hochschulausbildung bei 11,3 % (IAB 2017). Von Durchlässigkeit und Chancengleichheit kann also im deutschen Bildungssystem nicht die Rede sein. Hinzu kommt, dass der Gesetzgeber es im PflBG versäumt hat, eine höhere Durchlässigkeit von der beruflichen Pflegeausbildung in die Hochschulausbildung zu gewährleisten. Die im Gesetz vorhandene Regelung (§ 38 Abs. 5 PflBG) überlässt es als Soll-Vorschrift den Ländern oder Hochschulen, den Umfang der Anrechnung auf die Hochschulausbildung festzulegen.

Die soziale Lage der Studierenden wird durch die Förderungsmöglichkeiten des Bundes-Ausbildungsförderungsgesetzes (BAföG) nur unzureichend verbessert. Nur etwa 18 % der Studierenden (584.000) werden überhaupt gefördert.12 Eine Vollförderung erhalten nur 394.000 von allen Geförderten. Im Sommersemester 2016 lag der durchschnittliche Förderungsbetrag für Studierende bei 435 €. Der weitaus größte Teil (86 %) ist auf finanzielle Unterstützung der Eltern angewiesen und 61 % müssen während des Studiums durch andere Tätigkeiten einen Beitrag zu ihrem Lebensunterhalt erwirtschaften.13 Eine Nebenerwerbstätigkeit ist bei einem Pflegestudium, bei dem etwa ein einhalb Jahre (mind. 2.500 Std.) eines drei- bis dreieinhalbjährigen Bachelorstudiums aus Praxiseinsätzen bestehen, nur noch schwer organisierbar. Es ist also zynisch, wenn bei Auszubildenden und Studierenden der Gesundheitsberufe als Begründung für vorenthaltene Ausbildungsvergütungen auf die unzureichenden Förderungsmöglichkeiten des BAföG verwiesen wird.

Unklare Berufsaussichten für Hochschulabsolvent*innen

Betrachtet man die Berufsaussichten, so ist weiterhin unklar, welche anderen Tätigkeitsfelder die Studierenden nach Abschluss der Hochschulausbildung erwarten. Ein Bedarf auf dem Pflegearbeitsmarkt für die hier vermittelten Qualifikationen wird zwar vielfach behauptet, konnte aber bislang nicht schlüssig nachgewiesen werden. Nach einer vergleichsweise aktuellen Verbleibstudie aus NRW konnten über 40 % der Absolvent*innen die durch das Hochschulstudium in der Pflege im Rahmen von Modellversuchen erworbenen Qualifikationen gar nicht oder nur wenig nutzen. Der Anteil derjenigen, die sie in hohem und sehr hohem Maße nutzen konnten lag lediglich bei 15,9 % bzw. 9,3 %.14 Die Frage, ob sie falsch qualifiziert wurden oder die erworbenen Qualifikationen nur nicht anwenden konnten, weil sie nicht gebraucht wurden, ist damit noch nicht beantwortet. In Einsatzbereichen, in denen die Qualifikationen weitgehend denen der beruflich ausgebildeten entsprechen, »gelingt die Nutzung der hochschulisch erworbenen Qualifikationen und Kompetenzen nur dann, wenn die Rahmenbedingungen (z.B. zeitliche Aspekte, Personalbesetzung und Arbeitsgestaltung) entsprechenden Freiraum bieten. Diesen Freiraum erkennen in der vorliegenden Studie insbesondere freiberuflich Tätige.«15 Eine freiberufliche Berufsausübung ist bei Pflegeberufen eine seltene Ausnahme, wenn nicht weitgehend ausgeschlossen.

Die Verlegung eines Teils der Pflegeausbildung an die Hochschule scheint auch weniger arbeitsmarktpolitischen Erwägungen oder Bedarfen in der Gesundheitsversorgung geschuldet zu sein als vielmehr berufsständischen Bemühungen, nach der Einrichtung erster Pflegekammern, nun einen weiteren Schritt zum angestrebten Status als »Profession« zu gehen. Dieses Bemühen trifft sich mit den Interessen einer weiteren Ökonomisierung des Gesundheitswesens, die unter dem Vorwand der Attraktivitätssteigerung des Pflegeberufs die in den letzten Jahren im Pflegedienst wieder forcierte Trennung von Kopf- und Handarbeit weiter voranzutreiben und so das Berufsfeld Pflege für die Rückkehr der »höheren Töchter« vorzubereiten, die dann wie seinerzeit im 19. Jahrhundert das proletarische Wartepersonal zu beaufsichtigen und zu überwachen haben. Der vergleichsweise hohe Anteil an Pflegefachkräften im Pflegedienst der Krankenhäuser von über 80 %16 ist, neben der Verbilligung der ärztlichen Arbeitskraft durch die Schaffung neuer Arztassistenzberufe17 und die Übertragung ärztlicher Aufgaben auf anderes Fachpersonal, der nächste Angriffspunkt, »Wertschöpfungspotentiale« zu heben. Die Ausbildungsreform der Pflegeberufe liegt auf dieser Linie einer weiteren Ausdifferenzierung im ohnehin schon vorhandenen Qualifikationsmix aus un- und angelernten, ein- oder zweijährig ausgebildeten Pflegekräften, Pflegefachkräften mit dreijähriger Ausbildung und solchen mit Weiterbildung sowie regelhaft an Hochschulen ausgebildeten Pflegekräften. Die ökonomische Maxime, Pflegearbeit von der jeweils billigsten Arbeitskraft verrichten zu lassen, könnte dazu führen, dass eine relativ kleine Zahl an gut ausgebildeten Pflegefachkräften, eine wachsende Zahl an Assistenzkräften anzuleiten und zu beaufsichtigen hat. Ein Beitrag zur Attraktivitätssteigerung für alle Beschäftigten im Pflegedienst ist das wohl nicht.

Attraktivitätssteigerung oder Abbau von Ausbildungsplätzen?

Das Ziel einer »Attraktivitätssteigerung des Pflegeberufs«18 wird bei den diversen Abschlüssen und differenzierten Gestaltungsmöglichkeiten durch die Ausbildungsträger kaum erreicht werden können. Eher ist zu erwarten, dass die Umstellung besonders bei bisherigen Trägern der praktischen Ausbildung im Bereich der Altenhilfe zu einem Ausbildungsplatzabbau führen wird, weil sie den gesetzlichen Anforderungen nicht genügen können oder wollen. Sie könnten eher darauf setzen, dass durch den forcierten Ausbau von zweijährigen Ausbildungen in Pflegeassistenzberufen der Personalbedarf gedeckt werden kann und die Vorgaben zur Fachkraftquote durch Anerkennung dieser Ausbildungsabschlüsse als Pflegefachkräfte angepasst werden. Die Hochschulausbildung leidet unter unzureichenden Vorgaben zum Berufsprofil und vor allem unter unzumutbaren Ausbildungsbedingungen für die Studierenden während der praktischen Ausbildung. Der Ansturm auf die bereitgestellten Studienplätze wird sich da wohl in Grenzen halten.

Dieser Artikel ist in der Zeitschrift des Vereins demokratischer ärztinnen und ärzte (vdää) erschienen.

 

1 Statistisches Bundesamt (Destatis), Bildung und Kultur, Fachserie 11 Reihe 2, 2019

2 In den bisherigen Berufszulassungsgesetzen war die Ausübung heilkundlicher Tätigkeiten unter bestimmten Voraussetzungen ausdrücklich erlaubt (§ 1 Abs. 2 S. 2 KrPflG/§ 1 S. 2 AltPflG).

3 Darmann-Finck, I./Baumeister, A./Greiner, A.-D.: »Projektbericht. Qualifikationsmix in der stationären Versorgung im Krankenhaus«, Bremen 2016

4 Vgl. a. Dielmann, Gerd: »Doch keine generalistische Ausbildung der Pflegeberufe? «, in: Infodienst Krankenhäuser, Nr. 74, September 2016, S. 28; https:// gesundheit-soziales.verdi.de/service/ publikationen

5 Deutscher Bundestag Drucksache 19/ 2707, S. 93

6 Dielmann, Gerd: »Ausbildungsreform der Pflegeberufe: Ausbildungs- und Prüfungsverordnung verabschiedet«, in: Infodienst Krankenhäuser, Heft Nr. 83, Dezember 2018, S. 38–41

7 Dielmann, Gerd: »Fachkräftemangel? Hausgemacht!«, in: drei 66, Fachbereichsbeilage des Fachbereichs 3 zur Mitgliederzeitung der ver.di, Oktober 2018, S. 3; s.a. »Ende vor dem Abschluss«, in: drei 65 April/Juli 2018, S. 1

8 Deutscher Bundestag 240. Sitzung, Plenarprotokoll 18/240 vom 22.06.2017, S. 24492

9 »Ansonsten gelten die Vorteile des Studenten. Er hat keinen Arbeitsvertrag. Damit unterliegt er weder arbeitsrechtlichen Bindungen noch arbeitsrechtlichen Disziplinierungsmöglichkeiten. Er unterliegt auch keiner Urlaubsregelung, wie derjenige, der einen Arbeitsvertrag abschließt. Auf der anderen Seite fehlen ihm die gesicherten Finanzierungsvorteile des Arbeitsvertrages. Damit bleibt die Praktikantenvergütung, wenn Studierende in Einrichtungen Praktika machen, eine Sache, die am Ende dem Arbeitgeber vorbehalten ist.« (Georg Baum (DKG): »Sachverständigenanhörung zum Pflegeberufereformgesetz am 30.05.2016«, Wortprotokoll, S. 35, https:// www.bundestag.de/ausschues_se/ ausschuesse18/a14/anhoerungen/pflbrefg-inhalt/420494 – Neben einem Video der Anhörung finden sich hier auch die Stellungnahmen und das Wortprotokoll.

10 Hebammenreformgesetz (HebRefG) vom 22.11.2019 (BGBl. I S. 1759)

11 Middendorff, E., Apolinarski, B., Becker, K., Bornkessel, P., Brandt, T., Heißenberg, S. & Poskowsky, J.: »Die wirtschaftliche und soziale Lage der Studierenden in Deutschland 2016. Zusammenfassung zur 21. Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks – durchgeführt vom Deutschen Zentrum für Hochschulund Wissenschaftsforschung«, Berlin: Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), 2017, S. 27

12 Middendorff et al., a.a.O. S. 53

13 Ebenda, S. 42

14 Dieterich et al. (Hrsg.): »Verbleibstudie der Absolventinnen und Absolventen der Modellstudiengänge in Nordrhein-Westfalen (VAMOS) «, Abschlussbericht, S. 75, Bochum 2019

15 Ebenda, S. 15

16 Deutsche Krankenhausgesellschaft (Hrsg.): »Zahlen. Daten. Fakten «, Berlin 2018

17 vgl. Dielmann, Gerd: »Neue Berufe zwischen Medizin und Pflege – Bedarfe und Regelungsnotwendigkeiten «, in: Pundt, Johanne/ Kälble, Karl (Hrsg.): »Gesundheitsberufe und gesundheitsberufliche Bildungskonzepte«, S. 51–3, Bremen 2015

18 Deutscher Bundestag, Drucksache 18/7823, S. 1

 

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