Mit dabei am 1. Mai

02.05.2019

381.500 Menschen demonstrieren am Tag der Arbeit für ein soziales Europa, darunter etliche Beschäftigte des Gesundheits- und Sozialwesens. Klare Haltung gegen Rechtspopulismus.

Am 1. Mai 2019 haben bundesweit rund 381.500 Menschen an insgesamt 481 Veranstaltungen des Deutschen Gewerkschaftsbunds zum Tag der Arbeit teilgenommen. An den Aktionen unter dem Motto »Europa – jetzt aber richtig!« beteiligten sich auch etliche Beschäftigte des Gesundheits- und Sozialwesens. Sie nutzten die Gelegenheit, um auf die Überlastung und Personalnot in den Einrichtungen hinzuweisen und Verbesserungen zu fordern.

 
Sylvia Bühler spricht bei der 1. Mai Demonstration in Detmold: Auch die Europawahl ist Thema.

ver.di-Bundesvorstandsmitglied Sylvia Bühler wandte sich auf der Demonstration im ostwestfälischen Detmold entschieden gegen die Kommerzialisierung und Privatisierung des Gesundheitswesens: »Zunehmend zeigt sich die hässliche Fratze des Kapitalismus. Was der in der Daseinsvorsorge anrichtet, kann man wie in einem Brennglas in der Altenpflege sehen.« Finanzinvestoren hätten den Bereich als Anlagefeld entdeckt. Für sie zählten ausschließlich hohe Renditen, nicht die Sicherung der Versorgungsqualität oder gar gute Arbeitsbedingungen. »Es war eine falsche Politik, die die Altenpflege dem wirtschaftlichen Wettbewerb ausgeliefert hat«, kritisierte Bühler. Das müsse korrigiert werden. Ein Schritt in diese Richtung sei der im Koalitionsvertrag von Union und SPD vereinbarte flächendeckende Tarifvertrag in der Altenpflege.

Die Gewerkschafterin betonte, eine anständige Bezahlung in der Altenpflege dürfe nicht dazu führen, dass pflegebedürftige Menschen und ihre Angehörigen finanziell überfordert werden. Deshalb solle die Pflegeversicherung von einer Teil- in eine Vollversicherung weiterentwickelt werden, über die alle Pflegekosten solidarisch finanziert werden. Als Zwischenschritt müssten die Eigenanteile der pflegebedürftigen Menschen begrenzt werden. »Gute Pflege und anständige Arbeitsbedingungen dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden«, so Bühler, die diese Themen auch mit der Europawahl am 26. Mai (pdf) in Verbindung brachte. »Wir kämpfen für ein anderes, ein soziales Europa«, stellte Bühler klar. Zugleich seien alle Demokratinnen und Demokraten aufgerufen, dem Rechtspopulismus und Rechtsextremismus entgegenzutreten. »Rechtspopulisten sind kompromisslos zu bekämpfen, mit allen Mitteln, die unser Rechtsstaat aufzubieten hat.«

Auch der Gesundheits- und Krankenpflegerin Anna-Lisa Müller vom Klinikum Darmstadt ging es am 1. Mai bei der örtlichen DGB-Kundgebung unter anderem darum, gegen Rechtspopulismus Flagge zu zeigen. »Diese rechten Parteien sind rassistisch, und sie sind gewerkschaftsfeindlich. Sie stehen für das Gegenteil von Solidarität und Zusammenhalt«, sagte die 22-Jährige. Die Mai-Demonstrationen sieht sie als Gelegenheit, »zu zeigen, dass ich mit dem System unzufrieden bin und mehr soziale Gerechtigkeit fordere«.

 

»Pre Care Block« in Berlin

Ihre Unzufriedenheit über die Zustände im Gesundheitswesen zeigten am 1. Mai auch Aktivist*innen des »Berliner Bündnisses für mehr Personal im Krankenhaus«, die bei der DGB-Demonstration einen »Pre Care Block« bildeten. »Pre Care« steht einerseits für prekäre, also unsichere Arbeitsbedingungen, andererseits für Pflege- und Sorgearbeit, die auch Care-Arbeit genannt wird. »Wir wollten damit die Brücke von prekärer Sorgearbeit zu prekärer Beschäftigung schlagen. Das ist der Versuch, möglichst viele Beschäftigte, die unter ähnlichen Arbeitsbedingungen leiden, zusammenzubringen«, erklärte die Krankenpflegerin Silvia Habekost aus dem Vivantes-Klinikum Berlin-Friedrichshain. An dem Block beteiligten sich auch Kolleginnen und Kollegen des ver.di-Bezirkfachbereichs Bildung, Wissenschaft, Forschung, die ebenfalls stark mit prekären Arbeitsverhältnissen konfrontiert sind. Auch Aktivist*innen des Frauenstreiks hatten zur Beteiligung aufgerufen.

In Berlin nutzten auch Beschäftigte ausgegliederter Tochterbetriebe der großen Kliniken Vivantes und Charité den 1. Mai, um für ihre Forderungen nach gleicher Bezahlung und Wiedereingliederung in die Muttergesellschaften zu demonstrieren. Die in den Tochterfirmen angestellten Therapeut*innen, Reinigungskräfte oder Laborangestellte verrichten die gleichen Tätigkeiten wie ihre Kolleginnen und Kollegen in den Muttergesellschaften, verdienen aber zum Teil bis zu 800 Euro weniger im Monat. Dagegen wehren sie sich schon seit Jahren mit Protesten und Streiks. »Nun gibt es endlich den Beschluss des Berliner Senats, dass die therapeutischen Tochterbetriebe wieder eingegliedert werden sollen und die anderen Töchter einen Tarifvertrag bekommen«, erläuterte Habekost, die sich auch als Vorsitzende des Berliner ver.di-Bezirksfachbereichsvorstand engagiert. »Wir wollen das feiern und gleichzeitig auf die Durchsetzung dringen.«

 
Der »Pre Care Block« bei der Berliner Mai-Demonstration

Für mehr Personal in den Psychiatrien

In Landau in der Pfalz waren die ver.di-Aktiven ebenfalls früh auf den Beinen. In einer großen Halle in der Innenstadt, in dem der DGB traditionell den Maifeiertag begeht, hatten sie ihren Stand aufgebaut. Für den Personalratsvorsitzenden des Pfalzklinikums für Psychiatrie und Neurologie, Bernhard Dobbe, ist die Veranstaltung wichtig, um in den kollegialen Austausch zu kommen. »Man kriegt einiges mit: Wie geht es den Kollegen bei der Bundespolizei, was treibt die Beschäftigten in der Sparkasse um? Das ist immer spannend.« Doch der Gewerkschafter hat auch eine Mission: Er ist »Psych-PV Plus Botschafter«.

Seit Monaten verhandeln Kliniken und Krankenkassen im Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) über neue Personalstandards in der Psychiatrie. Bald soll der Entwurf für eine Personalbemessung vorliegen, die die bisherige Psychiatrie-Personalverordnung (Psych-PV) ablöst. ver.di plädiert dafür, die seit 1991 geltende Verordnung weiterzuentwickeln und neue Berufsgruppen und Tätigkeiten einzubeziehen, also einen Psych PV-Plus. »Der neue Standard muss den tatsächlichen Bedarf an Pflege und Versorgung adäquat abbilden«, betonte Gisela Neunhöffer, die in der ver.di-Bundesverwaltung für psychiatrische Einrichtungen zuständig ist. Das sieht auch Bernhard Dobbe so, und der 1.Mai ist für ihn die ideale Gelegenheit, mit anderen ins Gespräch zu kommen: »Wo unser einer selbstverständlich drüber diskutiert, das ist für Außenstehende sehr abstrakt, die gehen einfach davon aus, das Personal in der Psychiatrie wird schon vorhanden sein. Das ist für mich auch ein Versuch, das Thema in der Bevölkerung zu platzieren.« Auch andernorts spielte dieses Thema am 1. Mai eine wichtige Rolle. So zum Beispiel in Recklinghausen, wo Beschäftigte der LWL-Klinik mit der SPD-Vorsitzenden Andrea Nahles über die Psych-PV plus diskutierten, die ihre Unterstützung signalisierte. Vielerorts sammelten ver.di-Aktive am 1. Mai Unterschriften für die Forderung nach bedarfsgerechten Personalvorgaben in der Psychiatrie. Die Sammelaktion läuft nur noch wenige Wochen. Bis zum 15. Mai sollen die Unterschriften an die ver.di-Bundesverwaltung (z.Hd. Kerstin Motz, Paula-Thiede-Ufer 10, 10179 Berlin) zurück geschickt werden.

 
Die SPD-Vorsitzende Andrea Nahles zeigt in Recklinghausen ihre Unterstützung für die »Psych-PV plus«.

»Pflege ist Gold wert«

In Hannover raschelte es am 1. Mai golden: Die Kolleg*innen des ver.di-Fachbereichs waren in goldene Rettungsdecken gehüllt und unübersehbar. Ihre Botschaft: Pflege ist Gold wert! Und so sollte sie auch behandelt und entsprechend aufgewertet werden: »Wir wollen bessere Arbeitsbedingungen und gute Bezahlung in der Pflege«, hieß es im Aufruf zur Aktion. Adriana Simecek, Krankenpflegerin im Klinikum Region Hannover ist ver.di-Neumitglied seit einer Woche, und war begeistert dabei: »Seit diesem Monat organisiere ich in Lehrte einen Pflegestammtisch, und zur Demonstration zu gehen, das ist unsere erste gemeinsame Aktion. Ich möchte dafür demonstrieren, dass die Pflege es wert ist, dass hingeschaut und in uns investiert wird – das müssen alle sehen.«

Das brisanteste Thema sei in Niedersachsen aktuell die Pflegekammer, gegen die Pflegekräfte seit Wochen protestieren. Eine Petition zur Auflösung der erst im August konstituierten Landespflegekammer haben inzwischen fast 51.000 Menschen unterschrieben (Stand Anfang Mai 2019). Sie wehren sich vor allem dagegen, dass examinierte Pflegekräfte zu Mitgliedschaft und Beitragszahlung verpflichtet sind. »Wir sind da jetzt richtig wach geworden«, berichtete Simecek. ver.di fordert eine Vollbefragung der niedersächsischen Pflegekräfte, damit ihre Meinung zur Pflegekammer Gehör findet.

 
Gold wert: Pflegekräfte demonstrieren in Hannover für Aufwertung und Entlastung

»Pflege-Roboter« demonstrieren

Aufsehen erregten Beschäftigte der Mannheimer Uniklinik auf der örtlichen Mai-Demonstration, indem sie sich mit Pappkartons als »Pflege-Roboter«, »Physio-Roboter« oder »Kinderkrankenschwester-Roboter« verkleideten. Bei der Abschlusskundgebung rissen sie sich vor den rund 2.500 Demonstrant*innen die Kartons herunter und stellten klar: »Wir sind keine Roboter!« Der Betriebsratsvorsitzende Ralf Heller forderte in seiner Rede die Einführung verbindlicher Personalvorgaben für alle Bereiche des Krankenhauses.

Auch in der Altenpflege tritt ver.di für eine bundesweit einheitliche Personalbemessung ein. Grit Genster, die den Bereich Gesundheitspolitik beim ver.di-Bundesvorstand leitet, begrüßte bei einer Podiumsdiskussion zum 1. Mai im sauerländischen Arnsberg, dass der Gesetzgeber die Entwicklung eines Verfahrens zur Personalbemessung in der Altenpflege in Auftrag gegeben hat. Dieses Instrument stehe allerdings frühestens 2020 zur Verfügung. »Fakt ist, der Flickenteppich mit unterschiedlichen und viel zu niedrigen Personalausstattungen muss weg. Wir brauchen Sofortlösungen«, so die Gewerkschafterin. Die im Pflegepersonal-Stärkungsgesetz beschlossenen 13.000 zusätzlichen Stellen seien bei Weitem unzureichend. Allein um die zur Zeit beste Personalausstattung eines Bundeslandes auf ganz Deutschland zu übertragen, würden 63.000 zusätzliche Fachkräfte benötigt, rechnete Genster vor.

Die Behauptung von Arbeitgebern, der Fachkräftemangel lasse das nicht zu, ließ sie nicht gelten. »Niemand darf sich angesichts teils beschämend niedriger Löhne und schlechter Arbeitsbedingungen wundern, wenn immer mehr Stellen unbesetzt bleiben«, erklärte Genster. Die Arbeitgeber hätten es in der Hand, die Altenpflege attraktiv zu machen. »Die Arbeit in der Pflege muss aufgewertet werden. Das geht mit hoher Qualifikation, guter Bezahlung und anständigen Arbeitsbedingungen. Dann lassen sich auch genug Fachkräfte für diesen erfüllenden Beruf finden.«

 

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