Klinikpersonal entlasten

Empörung über Scheinlösung

ver.di kritisiert unzureichende Lösung bei Pflegeuntergrenzen
16.03.2018
DKG-Hauptgeschäftsführer Georg Baum bei der von ver.di organisierten öffentliche Anhörung zu Personaluntergrenzen am 15.3.2018 in Berlin

Man wolle »Licht ins Dunkel« bringen, erklärte ver.di-Bundesvorstandsmitglied Sylvia Bühler zu Beginn einer öffentlichen Anhörung zum Thema Pflegepersonaluntergrenzen am 15. März 2018 in Berlin. Seit Monaten verhandeln die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) und der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) im Auftrag der Bundesregierung über Untergrenzen für sogenannte pflegesensitive Bereiche der Krankenhäuser. »Aber was genau verhandeln DKG und GKV eigentlich? Das wissen nur sehr wenige Menschen«, so die Leiterin des ver.di-Fachbereichs Gesundheit, Soziale Dienste, Wohlfahrt und Kirchen. Um das zu ändern, hatte die Gewerkschaft Beschäftigte aus Krankenhäusern sowie Vertreter/innen der Bundestagsfraktionen von Union, SPD, FDP, Grünen und Die Linke in die ver.di-Bundesverwaltung geladen. DKG-Hauptgeschäftsführer Georg Baum berichtete über die Pläne von Kliniken und Krankenkassen – die für helle Empörung sorgten.

Laut Baum sollen für lediglich sechs Bereiche Personaluntergrenzen festgelegt werden. DKG und GKV seien darin übereingekommen, dass ein Drittel der Mindestbesetzung aus Hilfskräften statt aus examinierten Pflegekräften bestehen könne. Die Krankenhausträger wollen zudem, dass die Mindestbesetzung nicht in jeder Schicht, sondern nur im Durchschnitt eines Quartals eingehalten werden müssen und Kliniken erst dann Sanktionen zu befürchten haben, wenn die Vorgaben drei Jahre in Folge nicht eingehalten werden.

 

Bei den Klinikbeschäftigten sorgte das für wütende Reaktionen. Sie schilderten eindrücklich, welche Folgen die Personalnot im Alltag für Patient/innen und Pflegekräfte hat. »Wenn so ein Stress herrscht, passieren Fehler«, warnte Martin Büttner, Intensivfachpfleger an der Berliner Charité. Personalvorgaben müssten unbedingt schichtbezogen sein, also täglich eingehalten werden – und nicht nur in rechnerischen Durchschnittswerten. »Ich möchte diese Beruf noch 20 Jahre ausüben. Und ich würde ihn gerne anderen empfehlen. Das kann ich nur, wenn die Bedingungen stimmen.«

Selbst jetzt in der Grippezeit, wenn etliche Kolleg/innen krankheitsbedingt ausfallen, würden planbare Operationen nicht verschoben, berichtete Christine Lachner vom Urban-Krankenhaus in Berlin. »Denn im System der Fallpauschalen müssen die Kliniken Geld verdienen und das heißt: möglichst viele OPs.« Das könnten nur verbindliche, schichtbezogene Vorgaben verhindern, ist die Krankenpflegerin überzeugt. Sie verwies darauf, dass nicht nur in der Pflege Personal fehlt. »Früher hatten wir auf der Intensivstation zwei Reinigungskräfte im Frühdienst und eine im Spätdienst – heute kommt eine für sechs Stunden. Wir hatten auch mal einen Physiotherapeuten. Jetzt ist mal einer für zwei Stunden da, wenn man Glück hat.« Wenn Klinikträger und Krankenkassen nicht wüssten, wie viel Personal auf den Stationen nötig sei, sollten sie die Beschäftigten fragen. »Wir sind die Profis. Wir wissen, was nötig ist. – fragen Sie uns.«

 

  • ver.di-Medieninformation vom 16.03.2018: ver.di kritisiert unzureichende Lösung bei Pflegeuntergrenzen

    Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) kritisiert die Planungen der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) und des Spitzenverbands der Gesetzlichen Krankenkassen (GKV) zur Entwicklung von Untergrenzen beim Pflegepersonal in Kliniken scharf. Auf einer von ver.di organisierten öffentlichen Anhörung am Donnerstagabend (15. März 2018) hatte DKG-Hauptgeschäftsführer Georg Baum ausgeführt, dass für lediglich sechs Bereiche Personaluntergrenzen festgelegt werden sollen.

    DKG und GKV sind zudem laut Baum darin übereingekommen, dass ein Drittel der Mindestbesetzung aus Hilfskräften statt aus examinierten Pflegekräften bestehen kann. Die Krankenhausträger wollen darüber hinaus erreichen, dass die Mindestbesetzung nicht in jeder Schicht, sondern nur im Durchschnitt eines Quartals eingehalten werden muss und dass Kliniken erst dann Sanktionen befürchten müssen, wenn sie die Vorgaben drei Jahre in Folge nicht erfüllen. Diese Ankündigung sorgte bei den Teilnehmer/innen der Veranstaltung, überwiegend Beschäftigte aus Krankenhäusern, für Empörung. Auf der Anhörung zeigten sich auch Vertreter/innen von Union, SPD, FDP, Grünen und Linken im Bundestag größtenteils von den Plänen enttäuscht. Union und SPD hatten DKG und Krankenkassen in der vergangenen Legislaturperiode den Auftrag erteilt, Untergrenzen für sogenannte pflegesensitive Bereiche festzulegen.

    „Die Beschäftigten in den Krankenhäusern gehen jeden Tag an die Grenze ihrer Belastbarkeit und darüber hinaus. Sie erwarten mehr als Scheinlösungen“, sagte ver.di-Bundesvorstandsmitglied Sylvia Bühler. Die neue Bundesregierung müsse sofort handeln und die im Koalitionsvertrag vereinbarte Ausweitung der Personaluntergrenzen auf alle bettenführenden Abteilungen umsetzen. Diese müssten sich am Pflegebedarf der Patientinnen und Patienten orientieren und der Entlastung der Beschäftigten dienen.

    Bühler unterstützte die von Bündnis90/Die Grünen und Die Linke in den Bundestag eingebrachte Forderung nach einem Sofortprogramm zur Schaffung von jeweils 25.000 zusätzlichen Stellen in der Kranken- und Altenpflege. Der Fachkräftebedarf dürfe nicht als Argument gegen verbindliche Personalvorgaben instrumentalisiert werden, forderte Bühler. „Damit ausreichend Fachkräfte für den Pflegeberuf gewonnen und gehalten werden können, braucht es vor allem eines: gute Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen.“ So könne die Arbeit im Krankenhaus sowohl für junge Menschen attraktiver werden als auch für diejenigen, die ihrem Beruf den Rücken gekehrt haben.

    Zu der Anhörung in Berlin waren Beschäftigte aus Kliniken aus dem gesamten Bundesgebiet angereist. Aus ihrer Sicht ist die Situation in den Krankenhäusern bereits jetzt dramatisch. Ihre Erwartungen: „Es muss sich etwas ändern – jetzt!“

     

 

Auch die Parlamentarier zeigten sich größtenteils enttäuscht von den Plänen der Kliniken und der Krankenkassen. Lediglich Lothar Riebsamen von der CDU äußerte sich positiv. Sabine Dittmar vom Koalitionspartner SPD stellte hingegen klar: »Es ist für mich selbstverständlich, dass eine Verhältniszahl von Pflegekräfte zu Patienten niemals eine Durchschnittszahl ist, sondern eine, die sich auf die Schicht bezieht.« Wenn DKG und GKV keine klaren und rechtzeitigen Vorgaben entwickelten, müsse man über eine »Ersatzvorgabe« des Bundesgesundheitsministeriums nachdenken. Maria Klein-Schmeink von den Grünen kritisierte, die Pläne von DKG und GKV würden »dem, was wir dringend brauchen, nicht gerecht«. Die Missstände müssten behoben, nicht fortgeschrieben werden. Sie nannte es einen »Webfehler« der Untergrenzen, »dass sie die eigentlich bedarfsgerechte Personalbemessung nicht herstellen«. Der FDP-Abgeordnete Andrew Ullmann sagte: »Es besteht die Gefahr, dass die Untergrenze zur Obergrenze werden könnte.«

 
Öffentliche Anhörung über Personaluntergrenzen im Krankenhaus: Bundestagsabgeordnete von SPD, CDU, Grüne, Linke und FDP diskutieren mit Sylvia Bühler (ver.di) auf dem Podium

Grüne und Linke haben in den Bundestag die Forderung nach einem Sofortprogramm zur Schaffung von jeweils 25.000 zusätzlichen Stellen in der Kranken- und Altenpflege eingebracht, was Sylvia Bühler in einer Pressemitteilung (siehe oben) unterstützte. Harald Weinberg von der Linkspartei betonte, ver.di habe mit ihren Aktivitäten »dafür gesorgt, dass dieses Thema heute überhaupt in dieser Form diskutiert wird«. Er appellierte an die Klinikbeschäftigten, den Druck aufrecht zu erhalten. Selbst DKG-Mann Baum sagte, mit dem Personalcheck von 2013 – den die Krankenhausgesellschaft seinerzeit als »Nacht- und Nebelaktion« verunglimpft hatte – habe ver.di »den Zünder gesetzt« und die Politik dazu veranlasst, Personaluntergrenzen auf den Weg zu bringen.

Auch jetzt werde die Gewerkschaft »nicht darauf warten, dass die Politik reagiert«, kündigte Sylvia Bühler an. »Die Beschäftigten in den Krankenhäusern gehen jeden Tag an die Grenze ihrer Belastbarkeit und darüber hinaus. Sie erwarten mehr als Scheinlösungen.« Sollten DKG und Krankenkassen an ihren jetzt bekannt gewordenen Plänen festhalten, werde es »einen Sturm der Entrüstung geben«, prophezeite Bühler. ver.di werde in diesem Fall dabei mithelfen, »dass der Sturm sehr kräftig ausfällt«.

 

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