Tarifvertrag Entlastung

Entlastung in Jena

Beschäftigte der Thüringer Uniklinik setzen Tarifvertrag zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen durch, der in einigen Punkten über bisherige Vereinbarungen hinausgeht.
26.10.2019
Abschluss nach 34 Stunden Verhandlung: Entlastungs-Tarifvertrag in Jena

Die Beschäftigten der Uniklinik Jena haben noch eins drauf gesetzt. Am Freitagabend (25. Oktober 2019) erzielten sie Eckpunkte für einen Tarifvertrag zur Entlastung, der in einigen Aspekten noch über die bisher an anderen Krankenhäusern erreichten Vereinbarungen hinaus geht. Entscheidend für den Erfolg waren die Entschlossenheit und Streikbereitschaft der Teams – und der Druck auf die politisch Verantwortlichen im Land.

Mehrfach sah es in den vergangenen Tagen so aus, als sei ein Streik an der Thüringer Uniklinik noch vor der Landtagswahl am Sonntag unausweichlich. In letzter Minute einigten sich beide Seiten doch noch – nach 34 Verhandlungsstunden. »Die Beschäftigten haben mehrfach klar gemacht, dass sie bereit sind, in den Erzwingungsstreik zu treten, falls es keine verbindlichen und wirksamen Regelungen zur Entlastung gibt«, erläutert der ver.di-Sekretär Philipp Motzke. Zuletzt hatten am 14. Oktober mehrere hundert Beschäftigte als »letzte Warnung« vorübergehend die Arbeit niedergelegt. Eine Woche später übergab eine Delegation eine Petition an die Landesregierung, mit der 1.133 Kolleginnen und Kollegen ihre Streikbereitschaft bekundeten. »Dieser Druck auf die Landespolitik hat die Klinikleitung letztlich dazu bewegt nachzugeben.« Mehr als 70 Delegierte der Stationsteams waren während der Verhandlung präsent – ein Teil von ihnen über die gesamte Dauer. »So ein Engagement, das war schon Wahnsinn«, sagt Motzke.

Der Einsatz hat sich ausgezahlt. Mit der Tarifvereinbarung sollen nicht nur allein in der Pflege 144 neue Stellen geschaffen werden. Es wurden für die einzelnen Stationen und Bereiche auch konkrete Zielwerte festgeschrieben, für wie viele Patient*innen eine examinierte Pflegekraft in der jeweiligen Schicht zuständig ist. Diese bedeuten eine deutliche Steigerung gegenüber der bisherigen Personalbesetzung. Mit Ausnahme weniger kleiner Stationen müssen nachts künftig zwei examinierte Pflegekräfte anwesend sein. In jedem OP-Saal werden mindestens zwei OP-Fachkräfte und eine Anästhesie-Fachkraft eingesetzt. Für die meisten anderen Bereiche wurden ebenfalls verbindliche Vorgaben festgelegt.

 

Sechs unterbesetzte Schichten = ein freier Tag

Der Knackpunkt bei allen Tarifverhandlungen für Entlastung war bisher stets die Frage, was geschieht, wenn die Mindestbesetzungen unterschritten werden. Im Universitätsklinikum des Saarlandes wurden vor gut einem Jahr erstmals zusätzliche freie Tage als Belastungsausgleich vereinbart. In Jena wird dieser Freizeitausgleich nun noch schneller fällig: Wenn Beschäftigte ab April 2020 sechs Mal in Unterbesetzung arbeiten oder freiwillig außerhalb des Dienstplans einspringen, bekommen sie einen zusätzlichen Tag frei. Für 2020 ist dieser Anspruch allerdings noch auf fünf Tage gedeckelt. Darüber hinausgehende Tage werden mit jeweils 150 Euro abgegolten. 2021 können zehn, im folgenden Jahr 15 und danach unbegrenzt viele Entlastungstage zusammenkommen.

»Mit diesem Tarifvertrag senken wir in Zukunft die Belastung der Beschäftigten deutlich«, stellte ver.di-Verhandlungsführer Bernd Becker fest. »Nur mit den sehr engagierten Beschäftigten gemeinsam ist es gelungen, in der Thüringer Krankenhauslandschaft einen solchen Tarifvertrag durchzusetzen.« Von der Vereinbarung sind fast alle Bereiche erfasst, einige müssen allerdings noch nachverhandelt werden. Das gilt beispielsweise für die Zentrale Notaufnahme (ZNA), in der als Sofortmaßnahme nachts eine studentische Hilfskraft zusätzlich eingesetzt wird. Die ZNA-Beschäftigten erhalten zudem eine zusätzliche bezahlte Freischicht im ersten Quartal 2020. Auch die Kolleginnen und Kollegen in der Psychiatrie müssen nicht darauf hoffen, dass ihnen die neue Personalverordnung eventuell Verbesserungen bringt. Hier sollen sechs Vollzeitkräfte neu eingestellt werden. Zudem erhält die Psychiatrie einen Anteil am Springerpool, der mit zusätzlichen Kräften bestückt wird.

»Tarifvertrag setzt neue Maßstäbe«

Zur Klärung strittiger Fragen wird eine »Kommission Entlastung« gegründet, die aus jeweils drei Vertreter*innen von ver.di und der Geschäftsführung besteht und an der auch der Personalrat beteiligt ist. Ausgliederungen wesentlicher Funktionen sind für die Laufzeit des Tarifvertrags bis Ende 2023 ausgeschlossen. Es besteht Nachwirkung, so dass die Regelungen so lange fortbestehen, bis eine neue Vereinbarung geschlossen ist. Allerdings gibt es ein Sonderkündigungsrecht, wenn sich beide Seiten in der Kommission in gravierenden Fragen nicht einigen oder falls der Vorsteuergewinn (EBITDA) auf unter eine Million Euro fällt. Angesichts eines aktuellen EBITDA von rund 13 Millionen Euro wird Letzteres von Gewerkschaftsseite allerdings als unwahrscheinlich eingeschätzt. »Dann wäre die Uniklinik schon in einer gravierenden wirtschaftlichen Krise, bei der man ohnehin handeln müsste«, erklärt Gewerkschaftssekretär Motzke. Am Dienstag treffen sich die Teamdelegierten, um die Vereinbarung zu bewerten. Sie steht noch unter dem Vorbehalt, dass die zuständigen Gremien beider Seiten zustimmen.

»Jetzt müssen wir den Tarifvertrag gemeinsam umsetzten, damit er schnell wirkt und die Kolleginnen und Kollegen gesund und gut arbeiten können«, betont ver.di-Landesfachbereichsleiter Becker. Sein Fazit: »Dieser Tarifvertrag setzt neue Maßstäbe für die Entlastungsbewegung an deutschen Krankenhäusern.« Tatsächlich dürften sich insbesondere die Beschäftigten der Unikliniken Mainz und Schleswig-Holstein, die derzeit ebenfalls für einen Tarifvertrag Entlastung streiten, das Ergebnis ganz genau anschauen.

 

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