Untergrenzen

Verschiebebahnhöfe und Schlupflöcher

04.09.2018

Eine Pflegekraft für 24 Patientinnen und Patienten auf einer kardiologischen Station? Das geht gar nicht! Wer so etwas vorschlägt, hat entweder keine Ahnung vom tatsächlichen Pflegebedarf oder er nimmt gefährliche Situationen und Überlastung der Beschäftigten billigend in Kauf.

 
Flugblatt zu Spahns Untergrenzen-Verordnung

 

Nach dem Scheitern der Verhandlungen zwischen der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) und dem Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-SV) zur Festlegung von »Personaluntergrenzen für pflegesensitive Bereiche zur Vermeidung unerwünschter Ereignisse« hat Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) nun eine Verordnung erlassen. Ab 2019 gelten Untergrenzen für die Personalausstattung in lediglich vier Bereichen. Gegenüber dem Referentenentwurf wurden die Vorgaben sogar noch einmal verschlechtert – unter anderem ausgerechnet für die Intensivstationen, bei denen es tagtäglich um Leben und Tod geht. GKV-SV und DKG sollen den Auftrag vom Gesetzgeber erhalten, Untergrenzen für die Neurologie, die Herzchirurgie und weitere Bereiche ab 2020 festzulegen.

 

Tagschicht

Nachtschicht

Intensivmedizin

2,5:1, ab 2021 2:1

3,5:1, ab 2021 3:1

Geriatrie

10:1

20:1

Unfallchirurgie

10:1

20:1

Kardiologie

12:1

24:1


Regierung verspielt weiter Vertrauen

Auf der ver.di-Kundgebung am 20. Juni in Düsseldorf aus Anlass der Gesundheitsministerkonferenz hat Spahn vor 4.000 Demonstrierenden eingestanden, dass es einen großen Vertrauensverlust der beruflich Pflegenden in die Politik gibt. Deshalb werde man entschieden handeln, versprach der Minister. Doch stattdessen legitimiert er mit dieser Verordnung auch noch die miserable Personalausstattung und verspielt weiter Vertrauen bei Patient/innen und Beschäftigten. Der gesetzliche Anspruch der Versicherten auf eine bedarfsgerechte Versorgung wird damit nicht gewährleistet.

 

Die Mogelpackung - Das Märchen von den Untergrenzen

Es war einmal vor gar nicht so langer Zeit in einem Krankenhaus irgendwo in Deutschland. Es begab sich, dass viel zu wenig Pflegekräfte immer mehr Patientinnen und Patienten versorgen mussten. Sie waren sehr erschöpft und in großer Sorge um ihre eigene Gesundheit. Einige von ihnen taten sich zusammen und berieten, dass sich daran etwas ändern müsse. Sie wurden immer lauter und lauter und irgendwann hörte sie auch der Gesundheitsminister. „Ich habe verstanden“, rief er den Pflegekräften zu, und beauftragte andere, das Problem zu lösen. „Arbeitgeber und Krankenkassen“, befahl er, „leget mir ein Konzept vor.“ ... das ganze Märchen lesen

 

Hilfs- statt Fachkräfte

Laut Verordnung muss die genannte Minimalbesetzung nicht einmal vollständig durch Fachkräfte, sondern kann zum Teil durch Pflegehilfskräfte abgedeckt werden. Das kritisiert ver.di scharf. Denn der Einsatz von Pflegefachkräften ist Voraussetzung für eine hohe Patientensicherheit und Versorgungsqualität. Pflegehilfskräfte, Stationsassistent/innen und Leitungskräfte dürfen nicht auf den Minimal-Schlüssel angerechnet, sondern nur zusätzlich eingesetzt werden.

Willkürliche Untergrenzen helfen nicht

Die 25 Prozent der genannten Bereiche mit der schlechtesten Personalausstattung sollen aufgestockt werden, andernfalls haben die betreffenden Krankenhäuser mit Sanktionen zu rechnen. Doch wie diese genau aussehen sollen, ist noch völlig offen. Es genügt, wenn die Einhaltung der Untergrenzen als monatlicher Durchschnittswert nachgewiesen wird. Was nützt es der Patientin, wenn gestern mehr Personal auf der Station war als vorgeschrieben, heute bei der eigenen Behandlung aber nicht einmal die Personalausstattung zur Vermeidung von Komplikationen gewährleistet wird? ver.di fordert, dass Personalvorgaben schichtbezogen und täglich eingehalten werden müssen.

Verschiebebahnhof und Schlupflöcher

Bei Untergrenzen nur für wenige Bereiche sind Verschiebebahnhöfe programmiert und Schlupflöcher leicht gefunden: Durch die Verlegung von Patient/innen, das Umbenennen bzw. Zusammenlegen von Stationen oder die Verlagerung von Aufgaben können die Vorgaben umgangen werden.

Pflegebedarf nicht berücksichtigt

Im Koalitionsvertrag sind Untergrenzen für alle bettenführenden Abteilungen angekündigt. Das ist überfällig! Die Bundesregierung hat nun den Entwurf für das Pflegepersonal-Stärkungsgesetz eingebracht. Damit sollen unter anderem ein »Personalquotient« und ab 2020 Pflegepersonaluntergrenzen eingeführt werden, die das gesamte Krankenhaus erfassen. Mit dem Hinweis auf den »Pflegeaufwand« soll der Eindruck vermittelt werden, der Pflegebedarf der Patient/innen würde gedeckt. Tatsächlich soll dieser weder erfasst noch berücksichtigt werden. Pflegepersonalquotient und zukünftige Pflegepersonaluntergrenzen bemessen sich am völlig unzureichenden Ist-Zustand.

Weg mit der Mogelpackung!

Die von Bundesgesundheitsminister Spahn erlassenen Pflegepersonal-Untergrenzen sind kein geeignetes Mittel, um Patientensicherheit zu gewährleisten. Der Gesetzentwurf für das Pflegepersonal-Stärkungsgesetz muss daher dringend nachgebessert werden. Jetzt muss der Gesetzgeber den Auftrag erteilen, ein am Pflegebedarf orientiertes Personalbemessungsinstrument zu entwickeln und anzuwenden. Schrittweise müssen für alle Bereiche Pflegepersonaluntergrenzen auf ein bedarfsgerechtes Niveau angehoben werden. Um zu einer schnellen Lösung zu kommen, fordert ver.di, die bereits bewährte Pflegepersonal-Regelung (PPR) unter Einbeziehung einer Expertenkommission zu einer PPR 2.0 weiterzuentwickeln.

Nachhaltige Lösungen für eine sichere Patientenversorgung und Entlastung der Beschäftigten müssen her!

 

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Kontakt

  • Grit Genster

    Be­reichs­lei­te­rin Ge­sund­heits­we­sen/­Ge­sund­heits­po­li­tik

    030/6956-1810

Bö­se Über­ra­schung für Pfle­ge­kräf­te: Spahns Un­ter­gren­zen sor­gen nicht für Ver­bes­se­rung

Springteufel mit Sprechblase "Ätsch"
© Illustration: www.tigrowna.de

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