Reha-Studie

Schlechte Bezahlung, steigende Belastung

05.11.2019

Studie zu Reha-Kliniken: Geringe Tarifbindung ist zentrales Problem. Fallschwere nimmt zu, Personalbesetzung nicht. Hinzu kommt, dass kommerzielle Betreiber Geld rausziehen.

 
Beschäftigte in Reha-Einrichtungen

Der Arbeitsdruck steigt, doch das Personal wächst nicht mit. Das ist eine zentrale Erkenntnis der von der Hans-Böckler-Stiftung in Auftrag gegebenen Studie zur Situation in Reha-Kliniken. Zwar liegt die Zahl der behandelten Fälle seit Jahren konstant bei etwa zwei Millionen. Doch sämtliche Beschäftigtengruppen berichten davon, dass die Arbeitsintensität zugenommen hat. Ein Grund ist, dass die Patient*innen deutlich pflege- und therapiebedürftiger sind als früher – auch, weil sie aus den Akutkrankenhäusern schneller entlassen werden. 123.000 Beschäftigte in den Reha-Kliniken helfen ihnen, wieder auf die Beine zu kommen. Damit ist die Beschäftigtenzahl in den vergangenen Jahren zwar gestiegen, doch das nur, weil der Anteil der Teilzeitkräfte zugenommen hat. Umgerechnet in Vollzeitstellen steht dasselbe Personal zur Verfügung wie schon vor Jahren – trotz wachsender Aufgaben.

So ist es auch in der Median-Klinik Odenwald, in der die Krankenschwester Dagmar Heidtke seit 20 Jahren arbeitet. »In dieser Zeit wurde das Personal nicht aufgestockt, dabei sind die Patienten heute spürbar kränker als früher«, berichtet die Betriebsratsvorsitzende. Ein Grund sind die verkürzten Liegezeiten in den Akutkliniken, weshalb Patient*innen die Rehabilitation deutlich früher und oft mit mehr Pflegebedarf beginnen. Doch auch in ihrem Bereich, Psychosomatik und Sucht, nähmen Fallschwere und Begleiterkrankungen zu, erklärt Dagmar Heidtke.

Fachkräfte wandern ab

 

In der Studie sagen 90 Prozent der Pflegekräfte, dass zu wenige examinierte Kolleginnen und Kollegen da sind. Fast ebenso viele berichten davon, dass Fachkräfte abwandern. Dagmar Heidtke kann das bestätigen. »Wir haben zwar viele Bewerbungen, aber insbesondere die Jüngeren bleiben oft nicht lang«, erklärt sie. Zentraler Grund sei die unzureichende Bezahlung. »Pflegekräfte verdienen ja auch anderswo nicht so viel wie sie müssten«, meint die Krankenschwester. »Aber bei uns können auf Dauer eigentlich nur Kolleginnen arbeiten, die einen gut verdienenden Ehemann zu Hause haben.« Folge sei eine Überalterung der Belegschaft. Wie sie selbst werden in den nächsten Jahren rund 40 Prozent ihrer Kolleginnen und Kollegen in Rente gehen. Verschärft werde das Problem dadurch, dass Akutkrankenhäuser und Leiharbeitsfirmen mit Prämien und besseren Konditionen werben. Anders als in Akutkliniken und Pflegeheimen werden neue Pflegestellen und Tariferhöhungen für Pflegekräfte in den Reha-Einrichtungen nicht automatisch refinanziert.

Laut Studie halten lediglich 13 Prozent der Pflegekräfte in Reha-Kliniken ihr Gehalt für angemessen. Unter den Physio- und Ergotherapeut*innen sind es neun, bei den Servicekräften sogar nur sechs Prozent. Während sich die Bezahlung laut Branchenstudie in öffentlichen Einrichtungen in der Regel nach den Flächentarifverträgen des öffentlichen Dienstes richtet, haben die meisten kommerziellen Träger einen Haustarifvertrag oder sind überhaupt nicht tarifgebunden. Das gilt auch für etliche Kliniken in freigemeinnütziger Trägerschaft. Insbesondere profitorientierte Konzerne wie Celenus, Median und Asklepios gehen zum Teil mit brachialen Methoden gegen Beschäftigte vor, die Tarifverträge einfordern. Doch es gibt auch positive Beispiele: So haben die Belegschaften bei Median West kürzlich die Tarifblockade des Konzerns durchbrochen und Lohnerhöhungen durchgesetzt. Bei den ebenfalls privaten Kliniken Schmieder in Baden-Württemberg hat ver.di erreicht, dass dort dieselben Löhne gezahlt werden wie im öffentlichen Dienst.

»Kaum Zeit zum Luft holen«

Auch bei saludis, der Reha-Tochtergesellschaft der städtischen Sozialstiftung Bamberg, die das örtliche Klinikum betreibt, haben sich die Beschäftigten auf den Weg gemacht, einen Haustarifvertrag durchzusetzen. »Kolleginnen erhalten für die gleiche Tätigkeit zum Teil mehrere hundert Euro weniger im Monat als andere, für die der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst gilt«, berichtet die Physiotherapeutin und Betriebsrätin Petra Bierlein. Aus Wut darüber hat sich die Zahl der ver.di-Mitglieder unter den rund 260 Beschäftigten seit Jahresbeginn mehr als verdoppelt. Auf dieser Grundlage soll der Arbeitgeber nun zu Verhandlungen über einen Haustarifvertrag aufgefordert werden. »Denn auch wegen der geringen Bezahlung und der intransparenten Arbeitsbedingungen gibt es massive Probleme, offene Stellen zu besetzen«, betont Petra Bierlein. Vorübergehend mussten zwei Reha-Stationen wegen Personalmangels komplett geschlossen werden.

Die Folge der Personalnot sei eine Arbeitsverdichtung in allen Bereichen. Für die Therapeut*innen bedeute das eine strikte Taktung. »Man kann zwischen den Anwendungen kaum Luft holen oder auf Toilette gehen«, sagt Petra Bierlein. Um ihre Arbeit, inklusive der Vorbereitung und Dokumentation von Therapien, überhaupt so zu schaffen, wie es ihrem eigenen Anspruch genügt, kämen viele Kolleg*innen früher – ohne zusätzliche Bezahlung. »Die Einrichtungen geben den hohen Kostendruck direkt an die Mitarbeiter weiter«, beklagt die Physiotherapeutin. Die zwischen Reha-Kliniken und Kostenträgern vereinbarten Tagessätze reichten oft nicht aus, um die Kosten zu decken. Dabei sei es gesellschaftlich sinnvoll, Geld in die Rehabilitation zu stecken. »Wenn Menschen dadurch früher arbeitsfähig oder später pflegebedürftig werden, spart das am Ende Geld«, ist die 48-Jährige überzeugt. »Ganz abgesehen von der höheren Lebensqualität, die die Menschen dadurch haben.«

Finanzinvestoren auf der Jagd nach Profiten

Die finanzielle Basis der Reha-Kliniken ist allerdings ganz unterschiedlich, wie die Studienautorinnen Sabine Baldauf und Katrin Vitols festgestellt haben. Während große Konzerne häufig hohe Gewinne einfahren, stehen viele kleinere Kliniken unter Druck. Ein Grund: Die großen Betreiber können aufgrund ihrer Marktmacht im Einzelfall höhere Vergütungen durchsetzen. Ein anderer: Die kommerziellen Unternehmen setzen auf Rationalisierung und »Synergieeffekte«, um Profite aus den Einrichtungen ziehen zu können. Ein Weg dafür ist das sogenannte Sale-and-Lease-back-Verfahren, bei dem Klinikkonzerne ihre Immobilien in separate Gesellschaften auslagern und von den Einrichtungen hohe Mieten verlangen.

»So werden dem System Versichertengeld entzogen, das für eine gute Versorgung gedacht ist«, kritisiert Sarah Bormann, die in der ver.di-Bundesverwaltung für Reha-Einrichtungen zuständig ist. Das ist so profitabel, dass Finanzinvestoren den Reha-Sektor für sich entdeckt haben. So zum Beispiel der niederländische Hedge-Fonds Waterland, der den Marktführer Median 2014 gekauft hat. »Wenn Finanzinvestoren und Konzerne Gewinne aus dem Klinikbetrieb ziehen, geht das sowohl zu Lasten der Beschäftigten und der Versorgungsqualität als auch der Gesellschaft insgesamt«, betont die Gewerkschafterin. »Die Politik muss dem dringend einen Riegel vorschieben.« Zudem seien die Kostenträger gefordert, die Tarifbindung bei der Belegung der Einrichtungen zu berücksichtigen.

 

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