Psychiatrie

Mehr Personal in der Psychiatrie

20.06.2019

ver.di übergibt gemeinsam mit Angehörigenverband mit einem Fahrradkorso rund 12.500 Unterschriften für eine PsychPVplus an die Deutsche Krankenhausgesellschaft und den Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen.

 
Start des Fahrradkorsos

Mit einem Fahrradkorso hat die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft ver.di am Dienstag den 18. Juni 2019 rund 12.500 unterschriebene Karten für eine bessere Personalausstattung in Psychiatrie und Psychosomatik an die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) und den GKV-Spitzenverband (GKV-SV) übergeben. In den letzten Wochen hatten Beschäftigte psychiatrischer Kliniken und Fachabteilungen mit Hochdruck Unterschriften für eine gute Personalbemessung gesammelt.

An die Krankenkassen richten sie die Aufforderung, eine bedarfsgerechte Personalausstattung zu finanzieren und zu kontrollieren, dass diese auch tatsächlich umgesetzt wird. Von den Klinik-Arbeitgebern verlangen die Beschäftigten, dass das erforderliche Personal zweckgebunden eingesetzt wird.

 
Persönliche Botschaften

Auf den Karten hatten die Unterschreibenden auch Gelegenheit, persönliche Kommentare an Dr. Doris Pfeiffer, die Vorstandsvorsitzende der GKV sowie an Dr. Gerald Gaß, Präsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft zu richten und machten davon vielfach Gebrauch: „Mein Vater soll nicht sich selbst überlassen sein.“ „Damit wir mehr auf die Patienten eingehen können.“ „Mehr Personal= weniger Zeitdruck“ schrieben sie als Botschaften.
 
Die Trägerorganisationen entscheiden bis September im Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) über neue Personalmindestvorgaben für die Psychiatrie. Diese sollen ab 1. Januar 2020 die bisherige Psychiatrie-Personalverordnung (PsychPV) ablösen. Die bisher bekannt gewordenen Ergebnisse der Beratungen im G-BA sind alarmierend. Anstelle eines notwendigen Personalaufwuchses droht eine Unterschreitung der bisherigen Vorgaben, was einer PsychPV minus gleichkäme.

 
Übergabe der Stellungnahme von ver.di beim Gemeinsamen Bundesausschuss

Die erste Station war dann auch der Gemeinsame Bundesausschuss, wo der Korso durch Dr. Christian Igel, dem Geschäftsführer des G-BA und Kristine Reis, Leiterin der Kommunikation des G-BA mit kühlen Getränken empfangen wurde. Grit Genster, Bereichsleiterin für Gesundheitspolitik überreichte ihnen die Stellungnahme von ver.di im Verfahren. „Viele Beschäftigte sind sehr besorgt. Die nun bereits mehr als zwei Jahre laufende Diskussion im Gemeinsamen Bundesausschuss ist für sie sehr intransparent, dabei sind die dort getroffenen Entscheidungen elementar für ihr berufliches Verständnis und ihre Arbeitsbedingungen“ kritisierte sie das Verfahren.

 
Übergabe der Unterschriften bei der DKG

Der zweite Anlaufpunkt der Radelnden bildete die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG). Dr. Gerald Gaß nahm zwei schwere Kartons voller Unterschriften entgegen. Einigkeit mit der DKG bestand im Punkt, dass die Möglichkeiten der Digitalisierung genutzt werden sollten, um den hohen Zeitaufwand, den die Beschäftigten für die Dokumentation aufbringen müssen, zu verringern. Auch Patrick Haming, psychiatrischer Gesundheits- und Krankenpfleger an der Charité Universitätsmedizin Berlin, stimmt dem zu: „Es würde schon eine große Entlastung bringen, wenn wir weniger Zeit mit Dokumentation verbringen müssten und uns stattdessen mehr den Patient*innen widmen könnten. Beziehungsarbeit unter den aktuellen Erfordernissen zu leisten, ist eine große Herausforderung. Zu unserer Klientel gehören insbesondere Menschen, die aufgrund ihres Krankheitserlebens ausgeprägte Probleme in der zwischenmenschlichen Interaktion haben. Sie gehen aufgrund von Scham oder Misstrauen nicht unbedingt von selbst auf uns zu – vor allem dann nicht, wenn sie uns gestresst vor den Computern und Papieren sitzen sehen. Herrscht dann zum Beispiel im Frühdienst Unterbesetzung, weil kein Puffer für Personalausfälle eingeplant wurde, hat man ohnehin keine Zeit für entlastende Gespräche. Dabei ist es unsere Verpflichtung, diesen Menschen mit Offenheit zu begegnen, um sie in ihren tiefsten Krisen zu begleiten. Wenn dies aufgrund von Personalmangel und fehlender Einarbeitung nicht möglich ist und die Folge trotz stationärer Behandlung zum Beispiel ein vollendeter Suizid ist, ist das eine der schlimmsten Erfahrungen, die man in seiner beruflichen Laufbahn machen kann.“

 
Unterwegs für die PsychPVplus, Patrick

Auch Henriette Heise, die den Korso als Vertreterin des Berliner Landesverbands Angehöriger psychisch Kranker begleitete, äußerte ihre Bedenken:„Für uns als Angehörige ist Kommunikation zentral. Bisher ist in der Personalplanung dafür aber überhaupt keine Zeit vorgehalten. Aber wer kümmert sich denn um die Betroffenen vor und nach ihrem Klinikaufenthalt? Das machen wir! Zeit für Kommunikation zwischen den Profis in den Kliniken und uns „Profis“ außerhalb der Kliniken gibt es aber nicht. Wir können uns auf eine gute psychiatrische Versorgung unserer Angehörigen nicht verlassen, wenn das Personal überlastet wird. Und wir fürchten, dass sich mit einer Neuregelung die personelle Ausstattung in den Fachabteilungen und Kliniken gegenüber heute sogar noch weiter verschlechtert.“ 

 
Der Fahrradkorso rollt seinem Ziel entgegen

Die letzte Etappe führte die Radelnden schließlich zum Spitzenverband Bund der Krankenkassen (GKV-SV). Der Pressesprecher des Verbands, Florian Lanz, nahm schwere Unterschriftenpakete in Empfang. Christine Ilgert, Krankenpflegerin in der Psychiatrie und Psychologiestudentin erklärte ihm ihre Teilnahme: „Ich bin heute hier, weil mir wirklich wichtig ist, dass die aktuell geltende Personalverordnung auf keinen Fall unterschritten wird. Stattdessen wollen wir, die Beschäftigten, aber auch unsere Patient*innen und deren Angehörige, vielmehr einen Personalaufwuchs. Viele Aufgaben und Anforderungen, die sich uns heute stellen, sind in der veralteten Personalverordnung nicht erfasst. Wir können so nicht gut versorgen.“

 
Übergabe der Unterschriften bei der GKV

Auch Gisela Neunhöffer, Gewerkschaftssekretärin, die in der ver.di Bundesverwaltung zum Bereich Psychiatrie arbeitet erklärte, eine bedarfsgerechte Personalbemessung müsse alle Personalbedarfe realistisch erfassen. Dazu gehöre auch die Berücksichtigung von Ausfallzeiten wie Urlaub, Krankheit, Weiterbildungen sowie für Leitungs- und Querschnittsfunktionen. Die Personalausstattung müsse alle Behandlungsformen und alle therapeutischen Berufsgruppen berücksichtigen. Nicht zuletzt sei der Einsatz von Fachkräften vorzuschreiben. Berufsgruppen dürften dabei nicht beliebig gegeneinander ausgetauscht werden. Durch den stations- und monatsgenauen Nachweis müsse Transparenz darüber hergestellt werden, dass Versichertenbeiträge korrekt eingesetzt werden.

 

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