Krankenhaustagung 2018

Viel bewegt, aber nicht am Ziel

09.11.2018

Teilnehmer/innen der ver.di-Krankenhaustagung kritisieren unzureichende Maßnahmen zur Entlastung. »Untergrenzen beim Pflegepersonal haben nichts mit guter Versorgung zu tun.«

 
Krankenhaustagung 2018

Die Proteste für mehr Personal und Entlastung haben schon viel bewegt. Doch das Ziel einer spürbaren Entlastung der Beschäftigten ist noch nicht erreicht. Das war der Tenor der Diskussionen am Donnerstag (8. November 2018) bei der ver.di-Krankenhaustagung in Berlin, wo 270 Betriebs- und Personalräte sowie Mitarbeitervertreter/innen aus dem ganzen Bundesgebiet und von allen Trägerarten zusammenkamen. ver.di-Bundesvorstandsmitglied Sylvia Bühler erinnerte an die vielen Aktivitäten des vergangen Jahres – von der Demonstration zur Gesundheitsministerkonferenz am 20. Juni in Düsseldorf bis hin zum Aktionstag am 22. Oktober, mit dem die Beschäftigten der Krankenhäuser deutlich gemacht haben: Das vorhandene Personal ist aufgebraucht, zwischen dem 23. Oktober und dem 31. Dezember bricht die Versorgung nur deshalb nicht zusammen, weil Pflegekräfte über ihre Grenzen gehen und dabei ihrer Gesundheit ruinieren.

»In Düsseldorf und anderswo haben wir den politisch Verantwortlichen gezeigt: Wir lassen uns nicht mit Symbolpolitik abspeisen«, erklärte Bühler. Die bisherigen Maßnahmen der Bundesregierung reichten bei Weitem nicht aus. So auch das Pflegepersonalstärkungsgesetz, das am Freitag (9. November 2018) im Bundestag beschlossen werden sollte. »Darin stecken zwar viele gute Elemente, es ist aber noch nicht die Lösung, die wir brauchen«, so die Leiterin des ver.di-Bundesfachbereichs Gesundheit, Soziale Dienste, Wohlfahrt und Kirchen. Insbesondere fehle ein Instrument zur Personalbemessung, das sich am Versorgungsbedarf der Patientinnen und Patienten orientiert. »Wir bleiben an diesem Thema dran«, versprach Bühler. Und: Nicht nur für die Pflege, sondern für alle Berufsgruppen im Krankenhaus müsse es verbindliche Personalvorgaben geben.

Heftige Kritik übte die Gewerkschafterin an den vom Bundesgesundheitsministerium per Verordnung beschlossenen Untergrenzen für das Pflegepersonal in vier Klinikbereichen. »Untergrenzen für wenige Bereiche, die nur in den schlechtesten der schlechten Krankenhäuser etwas bewirken – das ist staatlich legitimierter Pflegenotstand.« Der Fachkräftemangel dürfe nicht – wie die Klinikbetreiber es tun – als »Totschlagargument« gegen verbindliche Personalvorgaben dienen. »Im Gegenteil sollte das Ansporn sein, die Arbeitsbedingungen zu verbessern«, so Bühler. In Zukunft könnten nur genug Fachkräfte gewonnen und gehalten werden, wenn der Beruf attraktiver werde.

Bühler verwies auch auf die tarifpolitischen Erfolge, die ver.di in den vergangenen Monaten erzielt hat. So konnten Vereinbarungen für mehr Personal und Entlastung nach der Berliner Charité auch an den baden-württembergischen Unikliniken, dem Uniklinikum Gießen und Marburg, den Unikliniken Düsseldorf, Essen und Homburg sowie dem Klinikum Augsburg durchgesetzt werden. »Wir haben Tarifgeschichte geschrieben, indem wir das Thema der Personalbesetzung zu einer tarifpolitischen Auseinandersetzung gemacht haben«, sagte sie. »Das war sehr gut und damit machen wir weiter. So verschaffen wir uns Respekt.«

 
Sylvia Bühler auf der Krankenhaustagung 2018

»Kein Fachkräftemangel, ein Mangel an guten Arbeitsbedingungen«

In der Diskussion kritisierten viele der Beschäftigtenvertreter/innen die Regierungspläne ebenfalls als völlig unzureichend. »Die Untergrenzen beim Pflegepersonal dienen lediglich der Gefahrenabwehr, mit guter Versorgung hat das nichts zu tun«, betonte ein Betriebsrat aus Bad Nauheim. Die Krankenpflegerin Jana Langer aus Baden-Württemberg monierte, dass die Regierung keinerlei Sofortmaßnahmen auf den Weg gebracht hat. »Wir brauchen jetzt Entlastung, nicht erst 2020.« ver.di hatte im Gesetzgebungsverfahren die Einstellung von 20.000 Pflegekräften als Sofortmaßnahme gefordert. Die OP-Pflegerin verwies zudem darauf, dass die Funktionspflege von Spahns Plänen ausdrücklich nicht erfasst sind. »Diese Kolleginnen und Kollegen fühlen sich vernachlässigt.«

Der Pflegelehrer Dirk Schilder aus dem Uniklinikum Münster sagte zur Diskussion über fehlende Fachkräfte: »Wir haben keinen Fachkräftemangel, sondern wir haben einen Mangel an guten Arbeitsbedingungen, der dazu führt, dass die Menschen aus der Pflege rausgehen.« Er nannte das Beispiel einer Krankenschwester, die jetzt als Verkäuferin arbeitet, »weil sie die Bedingungen im Krankenhaus nicht mehr aushält«. Bessere Arbeitsbedingungen seien die Voraussetzung dafür, den Bedarf an Fachkräften zu decken.

Insbesondere Betriebsräte privater Klinikbetreiber berichteten, wie sich diese darauf vorbereiteten, Schlupflöcher der gesetzlichen Regelungen auszunutzen. So habe Helios in der Region Ost Absolvent/innen der Krankenpflegeschulen in einem konzerneigenen Tochterunternehmen angestellt. »Wenn die zusätzlichen Pflegestellen ab 2019 finanziert werden, sollen sie richtig angestellt werden – auf Arbeitsplätzen, auf denen sie ohnehin schon tätig sind«, erläuterte ein Kollege. Andere Klinikmanager nähmen die unzureichenden Untergrenzen zum Anlass, die Personalbesetzung auf dieses Niveau abzusenken.

 
Krankenhaustagung 2018

Mogelpackung Untergrenzen

»Es kann nicht sein, dass sich die Situation durch die Verordnung über Pflegepersonaluntergrenzen noch verschlechtert«, betonte Grit Genster, Leiterin des Bereichs Gesundheitspolitik beim ver.di-Bundesvorstand. Die Untergrenzen sollten nicht die Norm setzen, sondern eine »rote Linie« definieren, die nicht unterschritten werden darf. Wenn Arbeitgeber das als Rechtfertigung für weiteren Personalabbau missbrauchten, müssten sich die Interessenvertretungen zur Wehr setzen. Die Untergrenzen seien eine Mogelpackung, die mehr Risiken als Chancen beinhalte, so die Gewerkschafterin. Die Grenzen seien willkürlich gesetzt und bildeten den tatsächlichen Bedarf nicht ab. Verwässert würden die Vorgaben dadurch, dass sie nur im Monatsdurchschnitt erreicht werden müssen und teilweise Hilfskräfte zur Besetzung herangezogen werden könnten.

»Unsere Warnung hat sich bestätigt: Die Entwicklung von Personalvorgaben gehört nicht in die Hände der Selbstverwaltung aus Kliniken und Krankenkassen. Dabei können nur schlechte Kompromisse herauskommen, weil die Interessen so weit auseinander liegen«, so Genster. Doch genau darauf setzt die Bundesregierung weiterhin: Die Deutsche Krankenhausgesellschaft und der Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenkassen sollen sich bis Ende nächsten Jahres sowohl über Sanktionen bei Unterschreitung der Vorgaben als auch über Untergrenzen in weiteren Bereichen verständigen.

Jetzt seien die betrieblichen Interessenvertretungen gefordert, bei der Umsetzung der beschlossenen Maßnahmen Einfluss zu nehmen, betonte die Gewerkschafterin. Die vielen Nachfragen nach Details der Beschlüsse verdeutlichten, dass es großen Schulungsbedarf zum Thema gibt. Die Betriebs- und Personalräte sowie Mitarbeitervertretungen sollten unbedingt die von ver.di angebotenen Seminare zum Thema besuchen, um sich für die anstehenden Auseinandersetzungen fit zu machen, empfahl Genster.

 

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