Altenpflege

Die Kritik reißt nicht ab

Über 180.000 Menschen fordern die Caritas auf, ihr Nein zum flächendeckenden Tarifvertrag über Mindestbedingungen in der Altenpflege zurückzunehmen. Auch katholische Sozialethiker*innen sind empört.
22.03.2021
Protestaktion bei der Caritas am 18. März 2021 in Mainz

Die Caritas kommt nicht zur Ruhe. Seit die sogenannten Dienstgeber in der Arbeitsrechtlichen Kommission des katholischen Wohlfahrtsverbands ihr Veto gegen die Erstreckung des von ver.di ausgehandelten Tarifvertrags auf die gesamte Altenpflege eingelegt hat, reißen die Proteste nicht ab. Bereits mehr als 180.000 Menschen haben die Caritas in einer Petition dazu aufgefordert, ihren Beschluss zu revidieren. Dutzende namhafte katholische Sozialethiker*innen und Theolog*innen kritisierten die Entscheidung in einer Stellungnahme. Die Caritas-Spitze versucht derweil, sich mit fadenscheinigen Argumenten herauszureden.

»Die Caritas muss ihren Beschluss umgehend korrigieren und dem allgemeinverbindlichen Tarifvertrag zustimmen.« Diese Forderung haben binnen weniger Tage schon fast 190.000 Menschen auf der Online-Plattform Campact unterzeichnet. »Gerade als christliche Organisation sollte sich der Verband zu guten Arbeitsbedingungen und würdevoller Pflege bekennen«, heißt es in der Petition weiter.

 
Protestaktion bei der Caritas am 18. März 2021 in Mainz

Dienstgeber der Caritas: »gefährlicher Entsolidarisierer«

Dieses Argument findet sich auch in einer gemeinsamen Stellungnahme von 17 Professor*innen der Christlichen Sozialethik. Dass die »Dienstgeber« der Caritas nach eigenem Bekunden auf den »Wettbewerb von Tarifwerken« setzten, zeuge »von betriebswirtschaftlicher Kurzsichtigkeit, einem Mangel an ökonomischem Sachverstand und Missachtung der kirchlichen Sozialverkündigung«, heißt es darin. Mit der Ablehnung des einheitlichen Tarifvertrags trete »die „Dienstgeber“-Seite der Caritas nun als ein für die Beschäftigten gefährlicher Entsolidarisierer auf. Dass der Caritasverband vor diesem Hintergrund noch glaubwürdig als Anwalt für die Interessen von Benachteiligten auftreten kann, ist unwahrscheinlich.«

Nachdem sich die Professor*innen detailliert mit der Begründung der »Dienstgeber« auseinandergesetzt haben, kommen sie zu dem Schluss, diese hätten sich offenbar mit der »allmählich verwilderten Wettbewerbskonstellation in der Daseinsvorsorge abgefunden« und könnten sich davon nun nicht trennen. So werde die Caritas – einst gesellschaftlicher Aktivposten der katholischen Kirche – »zu einer öffentlichen Belastung. Zugegeben: nur zu einer Belastung neben den vielen anderen, die die verfasste Kirche selbst verursacht hat.«

Selbst der Präsident des Deutschen Caritasverbandes, Peter Neher, gab daraufhin zu, die Entscheidung »schadet der Glaubwürdigkeit der Caritas und sie kommt zu Unzeiten für die katholische Kirche«. Zugleich betonte er allerdings die »Unabhängigkeit« der Arbeitsrechtlichen Kommission. Deren Beschluss verhindere »erst mal eine höhere Entlohnung von vielen Pflegekräften außerhalb der Caritas und das mitten in einer Pandemie, die diesen Menschen unheimlich viel abverlangt«, stellte Neher fest.

 

Caritas zündet Nebelkerzen

Trotz dieser Einsicht setzt der Caritasverband gegenüber seinen rund 700.000 Beschäftigten darauf, Nebelkerzen zu zünden. So vergleicht er in einer Mitarbeiterinformation die kirchlichen Arbeitsvertragsrichtlinien (AVR) mit dem Tarifvertrag über Mindestbedingungen, dessen Erstreckung die Caritas verhindert hat. Das wenig überraschende Ergebnis: Die AVR – die weitgehend auf dem von ver.di ausgehandelten Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) basieren – sind in vielen Aspekten besser. »Das ist billigste Polemik«, so Mario Gembus, der bei ver.di für kirchliche Betriebe zuständig ist. »Der Tarifvertrag sollte nur eine untere Haltelinie bei den Arbeitsbedingungen in der Altenpflege einziehen. Tarifverträge oder kirchliche Arbeitsvertragsrichtlinien wären – wo sie für die Beschäftigten besser sind – selbstverständlich erhalten geblieben und weiterhin refinanziert worden.« Er verwies darauf, dass nicht nur die Caritas, sondern auch die Arbeitsrechtliche Kommission der evangelischen Diakonie dem Tarifwerk ihre Zustimmung verweigert hatte. »So schützen die kirchlichen Wohlfahrtsverbände das Geschäftsmodell kommerzieller Pflegefirmen, die auf Ausbeutung und Niedriglöhne setzen«, kritisierte Gembus.

 
Protest vor dem Kölner Caritas-Gebäude am 8. März 2021

Der Protest dagegen geht auch auf der Straße weiter. Zum Internationalen Frauentag am 8. März machten Beschäftigte in verschiedenen Städten darauf aufmerksam, dass die Arbeitsrechtlichen Kommissionen – in denen vor allem Männer sitzen – für die Fortsetzung von Niedriglöhnen in der Altenpflege sorgen, deren 1,2 Millionen Beschäftigte zu 83 Prozent weiblich sind. »Wie will man die Altenpflege attraktiv gestalten, wenn nicht über Löhne und bessere Arbeitsbedingungen? Immer mehr Pflegekräfte schmeißen hin«, berichtete Björn Rudakowski, Pflegefachkraft in einem kirchlichen Altenheim, bei einer Aktion am Kölner Caritas-Gebäude. »Die Ablehnung des Tarifs mit der Fürsorgepflicht gegenüber den eigenen Mitarbeitern zu begründen, empfinde ich als zynisch«, kommentierte Dorothea Maubach für den ver.di-Frauenvorstand Köln-Bonn-Leverkusen. »Die Kirche will weiter ihr eigenes Ding machen und daran soll keiner rütteln – schon gar nicht die Gewerkschaften.« Das Handeln von Caritas und Diakonie stehe »im krassen Widerspruch zu ihren sozialen und kirchlichen Werten«, ergänzte der ver.di-Sekretär Robin Orlando. »Es ist höchste Zeit, die Sonderrechte der Kirche kritisch zu hinterfragen.«

Dies geschieht vermehrt auch in den Medien. So ließ die Satiresendung »Heute Show« am 12. März eine fiktive »Frau Schneider von der Caritas« den »gesunden Wettbewerb« in der Altenpflegebranche preisen. Die ebenfalls im ZDF ausgestrahlte Sendung »Die Anstalt« legte einige Tage später mit einem gut informierten Beitrag nach, in dem sie über die Rolle von Caritas und Diakonie beim Erhalt der »Trägervielfalt« spottete. Zeit, den kirchlichen, aber auch den kommerziellen Arbeitgebern und den politisch Verantwortlichen klar zu machen: Schluss mit lustig!

 

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